
Mit dem Radl zurück ins Leben
Wir haben mit Uschi Sorg gesprochen, die nach einem schweren Verkehrsunfall mit Schwerbehinderung als Folge mit einem Liegedreirad unterwegs ist.
Vor gut vier Jahren veränderte ein Unfall das Leben von Uschi Sorg. Zu Fuß auf dem Heimweg von der Arbeit wird sie, schon fast zuhause, plötzlich von einem Auto erfasst und überrollt. Mit schwerem Schädel-Hirntrauma kommt sie in die Unfallklinik, ob sie überlebt, ist unklar. Sie wird mehrfach operiert und liegt vier Wochen im Koma, eine Querschnittslähmung steht im Raum. Als sie nach zwei Monaten aus der Klinik entlassen wird, ist sie zunächst auf den Rollstuhl an gewiesen. Heute ist sie dank eines E-Dreirad-Fahrrads wieder mobil und meistert damit nicht nur ihren Alltag, sondern geht auch wieder auf Reisen.
Wir treffen Uschi Sorg und sprechen mit ihr über ihren Weg zurück ins Leben und welche Rolle das Fahrrad dabei gespielt hat.
Viele würden vermuten, dass es nur wenige Möglichkeiten für mobilitätseingeschränkte Menschen gibt, weiterhin mobil zu sein und gar am Radverkehr teilzunehmen. Wie war dein persönlicher Weg zurück zu dieser Teilhabe?
Schon als Kind und Jugendliche habe ich Bewegung in der Natur sehr genossen. Mit 25 Jahren verzichtete ich auf das Auto und nutzte das Radl für Alltag und Reisen. Mein Mann recherchierte schon während meiner Klinikaufenthalte, wie ich trotz meines beeinträchtigten Gleichgewichtssinns wieder Fahrrad fahren könnte. Und ich dachte: Irgendwann könnte das wieder etwas werden mit dem Fahrrad.
Wie hast du dann konkret zurück aufs Fahrrad gefunden?
Mein Mann fand einen Hersteller von E-Dreirad-Tandems. Eine dreitägige Probefahrt überzeugte uns und wir kauften das Tandem im Jahr nach dem Unfall. Das gemeinsame Fahren mit dem Tandem gab mir die Möglichkeit, mich wieder an den Straßenverkehr zu gewöhnen. Denn anfangs war ich sehr schreckhaft und ängstlich, eine Folge des Unfalls und des Schädel-Hirn-Traumas. Selbst im Taxi auf dem Weg zu meinen Therapien konnte ich weder schnelles Fahren noch Überholen aushalten. Mit dem Tandem haben wir uns dann aber gleich losgewagt, erste kleine Ausflüge zum Kaffeetrinken, dann 2-3-tägige Touren und dann sogar eine erste Reise, eine dreiwöchige Tour nach Italien im Sommer.
Wie ging es dann weiter?
Wir trafen jemand mit einem Einzel-Dreirad, der uns ein Spezialgeschäft mit guter Beratung empfahl. Dort kaufte ich ein solches Rad, mit dem ich alleine fahren kann. Mein Mann begleitete mich anfangs, damit ich sicherer werde. Inzwischen fahre ich auch allein, genieße aber gemeinsame Ausflüge und Radreisen mit meinem Mann oder Freundinnen. Sehr gerne fahre ich auch bei den Fahrradtouren des ADFC Weilheim Schongau und des VDK Weilheim mit.
Wie gehen andere Menschen mit deiner Behinderung um?
Mein Umfeld hat sich inzwischen an meine Bedürfnisse gewöhnt und hilft mir. Beim ersten Gruppenausflug musste ich lernen, offensiver um Hilfe zu bitten. In einem Café bei der Einkehr musste man Schlange stehen, um Kaffee und Kuchen zu bekommen. Da bin ich auf Hilfe angewiesen, aber niemand bemerkte es, bis mir die Tränen kamen. Niemand sieht, dass ich 100% gehbehindert bin, die Leute empfinden mich als fit. Insgesamt mache ich sehr gute Erfahrungen: Autofahrende halten Abstand und lassen mich die Straße überqueren. Andere Radfahrer:innen und Fußgänger:innen helfen mir bei Hindernissen. Ich versuche zu einem guten Miteinander im Straßenverkehr beizutragen. Auf schmalen landwirtschaftlich genutzten Straßen fahre ich auf die Seite, damit ein Traktor vorbeifahren kann. Pferde können durch das Fähnchen am Fahrrad panisch werden. Mit den Reiter:innen bespreche ich, wie ich gut vorbei fahren kann. „Rücksicht macht Wege breit“ ist eine gute und zutreffende Kampagne von verschiedenen Landwirtschafts-Verbänden.
Welche Hürden müssen im Bereich Fahrradfahren für Menschen mit Behinderung abgebaut werden?
Fahrradwege müssen auch für Dreiräder und Kinderanhänger geeignet sein. In Pensionen und Hotels wünsche ich mir sichere Abstellmöglichkeiten für mein Dreirad und dass es durch die Tür passt. Besonders wichtig wäre, dass mein Dreirad planbar und zuverlässig mit dem Zug oder mit dem Schiff transportiert werden kann, um meine Möglichkeiten zu erweitern. Erste gute Erfahrungen habe ich mit dem Extraservice der Österreichischen Bahn für Menschen mit Behinderung gemacht.
Was war dein schönstes Erlebnis auf dem Trike?
Das lässt sich für mich nicht auf ein Erlebnis reduzieren. Das Dreirad ermöglicht mir selbständige Alltagserledigungen. Und ich nutzte es mit Genuss für Tagesausflüge und Reisen. Fahrrad fahren ermöglicht mir Bewegung in der Natur und ist für mich Lebensqualität. Letztes Jahr war das beste Jahr meines Lebens: Ich radelte von Peißenberg nach und durch Italien, sechs Wochen abwechselnd von drei Freundinnen und meinem Mann begleitet. Insgesamt legte ich 2.105 km und 15.680 Höhenmeter zurück. Ich hätte mir nach meinem Unfall nie vorstellen können, dass ich wieder so eine Fahrradtour machen kann. Inzwischen bin ich innerhalb von gut zwei Jahren mit meinem Trike mehr als 12.000 km geradelt.
Was wünschst du dir konkret von der Politik, damit das Radfahren sicherer wird?
Ein Radgesetz, das die Expertise des ADFC und der Behindertenverbände berücksichtigt. Die Nutzung der neuen rechtlichen Voraussetzungen, um in Städten und Kommunen Tempo 30 als Höchstgeschwindigkeit innerorts anzuordnen und so die Sicherheit für Fußgänger:innen und Radfahrer:innen zu erhöhen. Zuschüsse von Krankenkassen und Berufsgenossenschaften für Dreirad-Fahrräder, um Menschen mit Behinderung Teilhabe zu ermöglichen.
Interview: Petra Husemann-Roew